Sezierung eines 101.000 km-Motors

Drosseln - entdrosseln und was in die anderen Motorkategorien nicht passt
Heinkel
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Sezierung eines 101.000 km-Motors

Beitrag von Heinkel »

Meine „tägliche Tenere“, eine 55W, die ich am meisten benutze und liebe, hatte 101.000 km auf dem Tacho, wovon ich 90.000 km gefahren bin. Der Motor war bis dahin „mechanisch“ ungeöffnet, d.h. es wurde nur einmal die Zylinderfußdichtung gewechselt und bei ca. 85.000 km die Lima, auch ist das 2. Kickstartergelenk verbaut. Es war Zeit für eine kleine Motorenrevision, da das Getriebe ein Lied gesungen hat, aber nicht, was jeder nun denkt: der 5. Gang, nein, es war der Schwarzwaldgang = 3. Gang. Ich fahre viel im Schwarzwald und da ist das der Gang, der meistens gebraucht wird, warum: raus aus der Ecke, kurz den 2. Gang ausdrehen, dann den 3. Gang ausgedreht, vielleicht kurz den 4. rein, dann kommt fast immer schon die nächste Kurve. Die anderen km habe ich in längeren Urlaubsfahrten in den Osten (Rumänien, Moldavien, Ukraine, und baltische Staaten) gemacht, oder auf Autobahnetappen zurück aus dem Schwarzwald, da rollt man im 5. Gang mit bis zu 130 km/h, aber das ist vollkommen unproblematisch.

Der Motor an sich war in Ordnung, etwas Kolbenklappern, ca. 1/3 Liter Ölverbrauch und Vmax fast noch erreicht, aber Vmax ist vollkommen unwichtig. Was fand ich bei der Zerlegung vor und was wurde ausgetauscht, wir beginnen oben:

- Zylinderkopf: alles top, nur reinigen, nichts eingelaufen, Ventile reinigen und leicht einschleifen, mehr nicht!
- Zylinder und Kolben: im Mittel ca. 0,15 mm Spiel rundum. Verschleißmaß laut Yamaha ist 0,10 mm, aber die ist eher dem Umsatz von Yamaha geschuldet als technischer Natur. Kolbenbolzen ganz leicht eingelaufen. Wurde alles wieder eingebaut.
- Steuerkette: Der Spanner hatte noch 5 Klicks bis zur ganz ausgefahrenen Position, wieder eingebaut
- Kurbelwelle: vollkommen ok, wurde wieder eingebaut
- Ruckdämpfer der Ausgleichswelle: hier waren 2 Federn gebrochen, sie lagen unten im Motor, die Federn wurden ausgetauscht, Rest wieder einbaut
- Kupplungskorb und Beläge und Primärantrieb: alles vollkommen o.k., wurde wieder eingebaut (zur Klarstellung, das sind die ersten Kupplungsbeläge!)
- Lima: o.k., wieder eingebaut, Rotor sowieso
- Getriebe: 3. Gang total am Ende, 4. Gang auch kariös, deshalb wurden der 3. und der 4. Gang gegen gebrauchte gute Zahnräderpaare getauscht. 5. Gang (jetzt wird es spannend!) hatte nur ganz leichte Pittings, wurde wieder eingebaut. Abtriebswelle Grobverzahnung, vollkommen o.k., wurde wieder eingebaut. Schaltgabeln usw. sowieso o.k.
- Gehäuse: die beiden Hauptlager der Kurbelwelle waren zu groß, die Außenringe hatten sich gedreht. Beide Lager einkleben, das geht einige Zeit gut, soll aber nicht dauerhaft halten, mein Freund hat diese Erfahrung gemacht. Ich habe mal die Wärmedehnung der Kurbelwelle und des Gehäuses berechnet und demgegenüber die Axialspiele der C3-Kurbelwellenlager gestellt. Ergebnis: Sämtliche Ausdehnungen werden vom axialen Lagerspiel der C3-Rollenlager aufgenommen! Es wurde wie folgt repariert: Linkes Lager mit Loctite 648 eingeklebt, rechtes Lager durch ein offenes Zylinderrollenlager als Loslager ersetzt, hier wurde der Außenring des Zylinderrollerlagers ins Gehäuse eingeklebt.
- Lager: das rechte 6004 hatte leichte Rattermarken, wurde ausgetauscht, die anderen Lager blieben drin.

Die Kosten der Motorüberholung beliefen sich auf: ca. 300 Euro (4 Hauptposten je ca. 50 Euro (Dichtsatz, Simmerringsatz, Zylinderrollenlager und gebrauchte Zahnräder)) + Kleinteile ohne Arbeitszeit.

Die über allem schwebende Frage: Warum hat der Motor so lange halten? Jetzt kommt Wissen gepaart mit etwas Eigenlob: Den Motor immer ca. 10 km piano warmfahren (d.h. ca. 3000 U/min im 5.Gang rollen lassen, nicht hacken lassen, nicht übermäßig ziehen lassen, dann runterschalten!), danach nie untertourig fahren, also kein Hacken im Antriebsstrang, sondern Drehzahlen zwischen 3000 und 6000 U/min, d.h. volle Pulle. Das macht dem Motor nichts aus! Und zum Thema Öl: Ich habe immer das Öl verwendet, das ich gerade da hatte, zeitweise Öl für Diesel-PKW (hat nichts gekostet, es war ein 60 Liter Faß da!) oder heute das 20-W50 von Louis mineralisch. Vergesst die teuren Öle, macht nur den Händler und die Ölhersteller reicht! Aber alle 6000 km Ölwechsel mit Filter, lohnt sich!

So, der Motor läuft seit über ca. 2000 km wieder und es reicht immer noch um fast alle anderen (am liebsten 1200 GS) im Schwarzwald abzuhängen oder zumindest bei den besseren dran zu bleiben.

Gruß Henning

becki
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RE: Sezierung eines 101.000 km-Motors

Beitrag von becki »

Hallo Henning,
Vielen Dank für deinen Bericht, ist ja nicht ganz uninteressant bei der KM Leistung.
Aber 0,15mm Laufspiel ist zuviel und den 5.ten Gang würde ich auch erneuen.
Ich meien Arbeitszeit, Frust und MAterial steht doch in keinem Verhältnis. Gerade wenn in vielleicht 10tkm der 5te Ganng nicht mehr geht oder die Kurbelwelle in den Arsch geht weil das LAufspeil größer wird.

Und warum klebst du die Lager ein, wenn du weisst das es nicht lange hält?

TheBlackOne
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RE: Sezierung eines 101.000 km-Motors

Beitrag von TheBlackOne »

Die Steuerkette hätte ich neu gemacht.
Bei 5 Klicks bis zum Ende sind die Steuerzeiten etwa 1/2 Zahn Richtung spät verstellt. Schleichender Prozess, den Unterschied merkt man, wenn die Steuerzeiten wieder stimmen.

Heinkel
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RE: Sezierung eines 101.000 km-Motors

Beitrag von Heinkel »

Hallo Jungs,

um Euere Fragen allgemein zu beantworten: Ich will wissen, wie lange ein XT-Motor hält, ganz einfach. Deswegen habe ich nur das Allernötigste repariert.

Im Detail:
"Aber 0,15mm Laufspiel ist zuviel": na und, bei 1/3 Liter Ölverbrauch mach ich da nichts. Ich denke, die 0,10 mm Verschleißgrenze ist in gewissem Umfang dem Umsatz von Yamaha zu verdanken.

"und den 5.ten Gang würde ich auch erneuen", warum: hatte nur ganz kleine Pittings und im Verhältnis zu den schon gelaufenen 101.000 km läuft der nochmals 30.000 bis 50.000 km.

Kurbelwelle: Die war o.k., übrigens: bei allen Motoren, die ich zerlegt habe, hatte ich nie eine schlechte Kurbelwelle, auch hier gilt der erste Satz, siehe oben.

Einkleben der Lager: Ich habe nur das linke eingeklebt, mit dem Zylinderrollenlager habe ich nun eine Fest-Los-Lagerung, das ist klassischer Maschinenbau. Mal sehen, wie lange es hält. Die Alternative wäre ein anderes Motorengehäuse gewesen. Nun sehe ich, ob diese Reparaturmethode funktioniert. Auf ca. 3.000 km bisher wunderbar!

"Bei 5 Klicks bis zum Ende sind die Steuerzeiten etwa 1/2 Zahn Richtung spät": Ja, hast Recht, aber auch hier gilt mein Ziel, wie lange hält es. Die Steuerkette tauschen, da ist kein großer Akt, da brauche ich nicht einmal einen Dichtsatz.

Gruß Henning

TheBlackOne
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RE: Sezierung eines 101.000 km-Motors

Beitrag von TheBlackOne »

Wenn man eine Steuerkette mit Clip- oder Nietschloss nimmt, ist das keine große Sache.
Bei einer Endloskette sieht das etwas anders aus.

Hiha
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RE: Sezierung eines 101.000 km-Motors

Beitrag von Hiha »

Lager einkleben hält ewig, wenn man den richtigen Kleber nimmt und vorher gescheit entfettet. Je nach Klapperluft empfehle ich Loctite 603, 638 oder 648. Das mit Fest- und Loslager ist rein theoretischer Natur. In der Realität sind das im Optimalfall beides Festlager mit erhöhter Axialluft (C3-C4). Aber das hast Du ja selber schon ausgerechnet. Ein Zylinderrollenlager hättest Du Dir deshalb garnicht antun müssen, es erleichtert aber das erneute Zerlegen. Wenn ich nicht wüsste, dass da schon viele damit rumfahren, hätt ich aber bedenken wegen der auftretenden rechtsseitigen Axialkräfte durch den schrägverzahnten Primärtrieb. Diese Axialkraft wird durch die Kurbelwelle auf das linke Lager geleitet, und muss von ihm alleine aufgefangen werden. Wobei ich grad garnich weiß, obs Zug oder Druck ist.
Zahnketten gibts nicht mit Clipschloss, zumindest hab ich so eine noch nie gesehen. Genietet hab ich schon ein paar, die halten jetzt schon seit Jahren. Ist allerdings nicht ganz einfach, und man sollte wissen was man tut.
Ein Laufspiel von 0,15mm ist zwar nicht wenig, aber wenn Dich das Geklapper nicht stört, kann das schon noch eine Zeitlang halten.

Insgesamt würde ich Deine Vorgehensweise unter den gegebenen Voraussetzungen grundsätzlich gutheißen.

Gruß
Hans

becki
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RE: Sezierung eines 101.000 km-Motors

Beitrag von becki »

Wie gesagt mich würde einige Sachen austauschen, wenn du natürlichen wissen willst wie lange es hält ist das was anderes.

Heinkel
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RE: Sezierung eines 101.000 km-Motors

Beitrag von Heinkel »

Hallo Hans,

die Klebererfahrungen sind 20 Jahre alt und bei einem Yamaha-Händler gemacht, ich kenne den damals verwendeten Kleber nicht. Ich habe Loctite 648 benutzt und das Zeug ist brutal. Wir haben mal ein Lager bei einem Bekannten wieder gelöst mit einem Brenner, das Lager war blau angelaufen und nur mit größtem Hebeln wieder loszubekommen. Ich bin sicher, Du hast Recht, das hält ewig. Und das Gehäuse ist gerettet!!!

Ich habe nur einen Einwand gegen dein Post: Der Primärantrieb ist komplett geradeverzahnt. Die XT 600 hat kein einziges schrägverzahntes Zahnrad!!! Deshalb funktioniert des Kleben auch!!! Ich habe gerade das bei meinem Schnittmotor nachgeschaut!

Gruß Henning

Mige
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RE: Sezierung eines 101.000 km-Motors

Beitrag von Mige »

Hallo Henning,

Bist Du sicher dass die AW noch io war? die ist meisten hinüber. Habe nun schon ein gutes Duzend Motoren auseinader genommen und die AW war immer def.
Ich habe auch schon bei "Spezialisten" (niemand aus dem Forum) AW bestellt die noch gut sein sollten und konnte von drei Stück zwei in den Eimer werfen.
Die defekte Stelle ist immer die gleiche; die linke Lagerstelle.



Beste Grüsse

Michel

Heinkel
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Registriert: Do 6. Sep 2007, 23:01

RE: Sezierung eines 101.000 km-Motors

Beitrag von Heinkel »

Hallo Michel,

ich liebe Abkürzungen! Was meinst DU mit AW? Antriebswelle? Abtriebswelle?

Gruß Henning

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