Blick in die Glaskugel

Lustiges, Sinnloses, labern eben.
Steinhahn
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Registriert: Mi 29. Okt 2008, 11:06

Re: Blick in die Glaskugel

Beitrag von Steinhahn »

Tausend Dank für deine immer wieder spannenden Berichte, ich lese sie mit Genuss! :) :) :)

IronChris
Beiträge: 183
Registriert: Sa 16. Okt 2021, 14:58

Re: Blick in die Glaskugel

Beitrag von IronChris »

Merhaba und Salam Alaikum,
Menschenskind, wieder viel zu viel zu rekapitulieren!

Doğubayazıt, Van, dann in die (ex(?))PKK-Hochburgen Yüksekova und Hakkari. Berge, viele Berge, und vielviel Militär. Einige sagen, sie seien Kurden, keine Türken - anderen ist das Thema eher unangenehm. Checkpoints, Panzer, Helikopter am Himmel, nicht die Türkei, von der immer alle reden oder?
Manchmal ist eine Straße gesperrt, mit der Begründung, es sei gefährlich da oben in den Bergen, und man muss auf der sehr gut ausgebauten und dennoch oft leeren Bundesstraße bleiben.
An einem Checkpoint, mitten im nirgendwo, hängen drei Soldaten ab, denen sichtlich langweilig ist. Habt ihr das Bild vor Augen von einer unbeachteten Römergarnison in einem Asterix und Obelix Band? Faule, schmutzige Soldaten, die nichts zu tun haben? Hier sah es ähnlich aus: unrasierte Männer, Stiefel ungebunden, einer in Badelatschen. Denen ist so langweilig, dass sie mich bitten doch mit ihnen auf einen çai und eine Zigarette nieder zu sitzen. Wir trinken Tee und unterhalten uns nicht. Dann holt einer das Sturmgewehr hervor, und wir feuern ein paar Schuss auf Flaschen auf der anderen Straßenseite. Auch spannend...

In Mardin und Sanliurfa verbringe ich wieder ein paar ruhige Tage mit einer Reisebekanntschaft. Zivilisierte, semi-touristische Kleinstädte, in denen man sich mal entspannen kann...

Da unten im Süden ist es ganz normal, dass Leute zusammen sitzen und Kurdisch, Türkisch und Arabisch reden, Nachbarn, die friedlich einen Tee trinken. Wenige Kilometer im Süden, an der syrischen Grenze, der große hässliche Zaun, der von EU-Geldern dort hingezimmert wurde.

Politisch, historisch und kulturell eine spannende Gegend.

Peace
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Stadtbild in Yüksekova
Stadtbild in Yüksekova
In Urfa
In Urfa
Unser Zaun
Unser Zaun
Blick von Mardin Richtung Syrien
Blick von Mardin Richtung Syrien
Meine Freunde von der Schießübung
Meine Freunde von der Schießübung
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Anfang des 21. Jahrhunderts las ich viel und versuchte jede freie Minute Motorrad zu fahren...

lowrider82
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Registriert: Di 16. Okt 2007, 11:17

Re: Blick in die Glaskugel

Beitrag von lowrider82 »

Vielleicht blöde Frage: Aber gefällt den drei Soldaten deren Aufgabe? Denn dann hätte es zumindest ein wenig Sinn. Ansonst...

IronChris
Beiträge: 183
Registriert: Sa 16. Okt 2021, 14:58

Re: Blick in die Glaskugel

Beitrag von IronChris »

...die hatten extreme Langeweile. Kein Radio, nix, nur das blöde TikTok aufm phone.
Ich weiß zwar nicht wie viele Tage, aber die haben mir zu verstehen gegeben, dass sie auch dort Schlafen.

Die Armee in der Türkei wird von Türken und Kurden gleichermaßen gestellt, so gibt es in der Gesellschaft auch breitere Akzeptanz und die Jungens wissen ob deren Aufgabe bescheid - Sicherheit - so kommt es mir zumindest vor...

Jetzt gerade hab ich einen Kebab vor mir in Diyarbakir. Helikopter und Kampfnetz in der Luft, ab und zu ein Radpanzer in der Innenstadt, alles ganz normal
Zuletzt geändert von IronChris am Mo 9. Okt 2023, 18:37, insgesamt 1-mal geändert.
Anfang des 21. Jahrhunderts las ich viel und versuchte jede freie Minute Motorrad zu fahren...

lowrider82
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Re: Blick in die Glaskugel

Beitrag von lowrider82 »

Könnte ja sein, daß das ihre Lebenserfüllung ist. Sold für nix. Während andere dafür schuften oder ihr Leben bangen müssen.

IronChris
Beiträge: 183
Registriert: Sa 16. Okt 2021, 14:58

Re: Blick in die Glaskugel

Beitrag von IronChris »

Lebenserfüllung kann ich mir kaum vorstellen.
Die Frage ist viel mehr, WIESO. ist die Gefahr seitens der PKK so groß? Oder ist es auch Abschreckung in der Gegend?

Und vor wenigen Tagen geduldete Bombenangriffe aufs südliche Nachbarland....
Anfang des 21. Jahrhunderts las ich viel und versuchte jede freie Minute Motorrad zu fahren...

lowrider82
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Re: Blick in die Glaskugel

Beitrag von lowrider82 »

Politikum. Wie du ja selber schreibst, anderswo sitzen diverse "Nationalitäten" friedlich zusammen.
Ja. Notwendigkeit kanns für die drei aus sein.

IronChris
Beiträge: 183
Registriert: Sa 16. Okt 2021, 14:58

Re: Blick in die Glaskugel

Beitrag von IronChris »

...die Story geht weiter... Morgen mehr ;)
Anfang des 21. Jahrhunderts las ich viel und versuchte jede freie Minute Motorrad zu fahren...

lowrider82
Beiträge: 1430
Registriert: Di 16. Okt 2007, 11:17

Re: Blick in die Glaskugel

Beitrag von lowrider82 »

:D DANKE!!

IronChris
Beiträge: 183
Registriert: Sa 16. Okt 2021, 14:58

Re: Blick in die Glaskugel

Beitrag von IronChris »

.....ich bieg dann nochmal nach Süden ab und fahre nach Iraqi Kurdistan.
Die Region, die man ohne von langer Hand beantragten Visum besuchen darf, also Kurdistan, ist sehr klein, aber irgendwie hat es mich nochmal gereitzt hier her zu kommen.

Ich installiere mir die Couchsurfing-app, weil Unterkünfte hier ein extrem schlechtes Preisleistungsverhältnis haben: 20 € für einen zwar großen, aber schmutzigen Raum, kein Klopapier, oft keine Handtücher, manchmal keine Bettlaken und man fragt sich, ob seit dem letzten Gast hier überhaupt irgendwas passiert ist...

Eigentlich keine Gegend, um die Seele baumeln zu lassen, reisen hier ist eher anstrengend: Cash bekommen ist extrem schwer, Karte akzeptiert auch niemand (die meisten Menschen haben garkein Bankkonto). Straßen sind meistens gut, sofern man auf den großen Straßen bleibt. Und viele Checkpoints natürlich, die Peschmerga aber sehr freundlich.
Wenn man nicht auf den großen Straßen bleibt...
Ich rauche eine Zigarette am Wegesrand. Da kommt ein Pickup, auf der Ladefläche vier Soldaten. Sie fragen mich, was ich hier mache, behalten den Pass ein, und bitten mich, ihnen hinterher zu fahren. Ich fühl mich auf einmal nicht mehr ganz so wohl muss ich gestehen, und bitte sie mir den Pass wieder zu geben (oha, es gibt nichtmal eine österreichische Botschaft in dem Land...). Pass gibt's nicht, bitte mit zur Wache.
Am Ende ist alles gut, ich werde nur inständig gebeten doch auf Hauptstraßen schnellstmöglich in eine große Stadt zu fahren, hier in den Bergen ist es gefährlich, PKK, Türkei usw.
Abgemacht, ich hau ab.

Durch das unterkommen bei Locals, die des Englischen mächtig sind, kann man auch viel von der Gegend lernen. So schlafe ich in Erbil beim Haval, der Touriführer ist, und mir viel über die Gegend erzählen kann, in Sulaymaniyah bin ich beim Joel, der aus UK kommt und irgendwie hier als Direktor einer Schule gelandet ist (und auch kein Bankkonto hat).

Duhok, Erbil, Sulaymaniyah, dort zum Museum im ehemaligen Knast von Saddam Hussein: eine schreckliche Darstellung davon, was Kurden unter Saddam und nachher durch die ISIS erlebt haben.
Soran, Amedi.
In Lalish habe ich die Gelegenheit, der größten Wallfahrt der Jesiden in deren religiösem Zentrum beizuwohnen. Das ist eine vielfach gepeinigte und daher recht unbekannte Religionsgemeinschaft, die weder mit Islam, Christentum oder Judentum verbandelt ist. Und da diese Minderheit die größte Diaspora in Deutschland hat (war euch eh klar, oder?), können mich viele auf deutsch begrüßen und mich ein wenig herumführen in diesem Pilgerort. Schlangen, heiliges Wasser und viel Rauch... Ich werde soetwas wie gesegnet mit vorsintflutlichem Wasser, bekomme ein kleines bisschen Erde, in ein Tuch eingewickelt, das beim Reisen Glück bringt. Darf mit dem spirituellen Oberhaupt ins Gespräch kommen und werde zum Tee eingeladen.
Von der Jesiden eigenem Semsem-Brunnen darf ich kein Bild machen, aber ich darf ein öliges Tuch mit geschlossenen Augen auf einen Felsen werfen: es bleibt dort liegen, was ein gutes Zeichen ist!
Innerhalb von 7 Tagen werden hier Menschen getauft, verheiratet, Stiere geschlachtet. Es ist spannend und ein kleines Privileg, dabei sein zu dürfen - aber ich will weiter, fahre nach Zakho und dann wieder in die Türkei.

Die Welt funktioniert ein wenig mehr wie in Europa gewohnt... Ich möchte mich jetzt entspannen und die letzten Tage der warmen Jahreszeit genießen.

Diyarbakir, Malatya, Nemrut Dagi, jetzt ein paar Tage in Göreme, Café trinken, alles ist gut...

Alles gute euch!
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In Lalish
In Lalish
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Irgendwo in Kurdistan
Irgendwo in Kurdistan
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Vor dem Knast-Museum
Vor dem Knast-Museum
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Ein Café in Erbil
Ein Café in Erbil
Zuletzt geändert von IronChris am Do 12. Okt 2023, 13:24, insgesamt 3-mal geändert.
Anfang des 21. Jahrhunderts las ich viel und versuchte jede freie Minute Motorrad zu fahren...

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